Ausdauertraining für das Klettern – so geht´s!

Ich muss mal wieder Ausdauer trainieren“ liegt auf Platz zwei der meistverwendeten Ausreden für das Scheitern in Kletterrouten. Nur noch getoppt von dem verärgerten Ausruf „Ich bin zu schwach!“.

Jedoch ist die individuelle Kletterleistung von einer Unzahl an weiteren Faktoren abhängig, als nur Maximalkraft oder Ausdauer der Unterarme. Unabhängig davon erwarten dich in diesem Text alle nötigen Informationen, um dein individuelles Ausdauertraining zu starten.

An jeweils passender Stelle werden die theoretischen Hintergründe und notwendige Zusammenhänge ergänzt, um den größten Nutzen für dich zu erzeugen.

Los geht’s!

Visualisieren hilft beim Klettern eines Projekts

Der Autor bemerkt, dass seine Ausdauer wohl nicht mehr für die letzten harten Züge reichen wird.

 

Was bedeutet Ausdauer im Klettersport?

Der Begriff Ausdauer im Klettern bezeichnet die Kraftausdauer der Fingerbeuger

Die Ausdauer beim Klettern wird in die zwei Bereiche

aerobe (sauerstoffabhängig) und

– anaerobe (sauerstoffunabhängig) Ausdauer unterteilt.

Für das Ausdauertraining beim Klettern ist es nötig die verschiedenen Energiestoffwechselysteme zu verstehen

Der prozentuale Anteil des vom aeroben System bereitgestellten ATP nimmt stark ab, sobald die Belastungsintensität die anaerobe Schwelle übersteigt.

 

Der Körper greift bevorzugt auf das aerobe System zurück bis die Belastungsintensität die anaerobe Schwelle erreicht.

Die anaerobe Schwelle ist dabei die schwierigste konstante Belastung, bei der kein Pump entsteht. Bei Überschreiten der anaeroben Schwelle durch zunehmend härtere Züge übernimmt überwiegend das anaerobe System.

Bei der Energiebereitstellung durch dieses entstehen jedoch bestimmte Nebenprodukte, die zur Muskelerschöpfung beitragen (der berüchtigte Pump = dicke Arme). Daher ist die Kletterzeit, die einem oberhalb der anaeroben Schwelle zur Verfügung steht begrenzt.

Glücklicherweise lässt sich die Leistung beider Systeme jeweils durch gezieltes Training verbessern.

 

Wer muss kletterspezifische Ausdauer trainieren?

Ob es überhaupt Sinn macht oder notwendig ist spezifisch Ausdauer zu trainieren, hängt von mehreren Faktoren ab. Der entscheidende Faktor ist das eigentliche Ziel für das trainiert wird. Je spezifischer das Ziel, desto leichter ist das Training zu planen.

Guido Köstermeyer hat in seinem Standardwerk zum Klettertraining* folgende Richtwerte zur Bestimmung des Trainingsfokus in Abhängigkeit der Routenlänge aufgestellt:

Anzahl Züge

Trainingsfokus

10 – 15

Maximalkraft

15 – 25

Maximalkraft + Anaerob

25 – 40

Anaerob + Aerob

40+

Aerob

Der Trainingsfokus ist dabei als vorübergehender Schwerpunkt des Trainings in Vorbereitung auf das Ziel zu verstehen. Die Basics, wie Maximalkraft oder Bewegungstraining (Klettern und Bouldern) sollten kontinuierlich weitertrainiert werden, um hier stetig Fortschritte machen zu können. Mehr dazu findest du im Überblick zum Thema Klettertraining.

Wie geht’s weiter? Jetzt wissen wir, ob und welche Bereiche der Kletterausdauer wir adressieren müssen. Der nächste Abschnitt behandelt die nötige Theorie, um das Training anzugehen.

Keine Lust auf Theorie? Springe zu den Ansatzpunkten für Ausdauertraining!

 

Die Energiestoffwechselsysteme der Muskulatur im Überblick

Die Energie, die man täglich im Alltag und Sport verbraucht, bezieht man aus der Nahrung, die man zu sich nimmt. Der Körper spaltet die enthaltenen Nährstoffe anschließend in ihre einfachsten Formen auf: Glukose, Fettsäuren und Aminosäuren. Diese werden dann über das Blut entweder den Energiestoffwechselsystemen zugeführt oder für die spätere Verwendung eingelagert.

In der Muskulatur arbeiten drei verschiedene Energiestoffwechselsysteme jeweils gleichzeitig. Dabei entstehen Abfallprodukte, wobei jedes der drei Systeme über ein unterschiedliches Management dieser Nebenprodukte verfügt.

Hier die drei Systeme im Überblick nach ihrem Einsatzbereich:

System

Einsatzdauer

Einsatzbereich

Gespeichertes ATP

< 30s

Beginn der Belastung

Anaerobes System

1-3 Minuten

Mittlere bis maximale Belastung

Aerobes System

≈ unendlich

Geringe bis mittlere Belastung

Je nach Belastungsintensität leisten sie einen unterschiedlichen relativen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Muskelfunktion.

Der Energieträger bzw. die chemische Verbindung aus der die Muskeln ihre Energie beziehen, wird als ATP (Adenosintriphosphat) bezeichnet. Wird ATP aufgespalten, entsteht nutzbare Energie und das Molekül ADP (Adenosindiphosphat).

Wer aufmerksam mitgelesen hat, dem ist aufgefallen, dass zwischen ATP und ADP ein Phosphatatom verloren gegangen ist. Um wieder ATP für die Energiegewinnung zu erzeugen, muss also das ADP wieder zu ATP umgewandelt werden.

Dabei entstehen Abfallstoffe der Reaktion, die zur Muskelermüdung beitragen. Die Ansammlung dieser Stoffe empfinden wir als unangenehmes Ziehen in den Armen (der sogenannte Pump).

 

Die Energiestoffwechselsysteme im Einsatz beim Klettern

Je nach Trainingslevel eines Kletterers kann eine Route vollkommen im aeroben Bereich liegen oder ein Wettlauf gegen die Zeit im anaeroben Notstand sein. Eine abwechslungsreiche Route ist oft eine Kombination von beidem. Maximale Crux-Sequenzen wechseln sich ab mit aerober Kletterei oder Rastpunkten in denen sich die Muskulatur (teilweise) erholt. So kann man mehrmals innerhalb einer Route jeweils über und unter der anaeroben Schwelle arbeiten.

Welches Energiestoffwechselsystem vorrangig aktiv ist, hängt von der Belastungsintensität ab. Bei der Umwandlung von ADP zu ATP für neue Energie entstehen immer systemunabhängig Abfallprodukte. Die unterschiedliche Fähigkeit der Systeme, damit umzugehen bestimmt ihre mögliche Einsatzdauer.

Gespeichertes ATP

Im Ruhezustand speichern die Muskeln eine begrenzte Menge ATP für den sofortigen Einsatz. Der Vorrat erschöpft sich aber bereits nach wenigen Sekunden, sodass der Körper nachproduzieren muss. Dies geschieht über das aerobe und das anaerobe System.

Aerobes System

Das aerobe System wandelt ADP zu ATP unter Zuhilfenahme von Sauerstoff um und recycelt gleichzeitig die anfallenden Abfallstoffe. Dies ist ein, im Vergleich zum anaeroben System, sehr effizienter Prozess und kann beinahe unendlich fortgeführt werden.

Überschreiten die Kletterschwierigkeiten jedoch die anaerobe Schwelle, werden zunehmend die sogenannten Fast-Twitch-Muskelfasern aktiviert um mehr Kraft aufzubringen. Diese Art von Muskelfasern ist bei allen kraftintensiven und schnellen Zügen aktiv und funktioniert nur bedingt mit dem aeroben System. Außerdem verlangt ein mehr an benötigter Kraft auch nach mehr ATP.

Leider ist das abfalleffiziente aerobe System gleichzeitig das Langsamste in der Freisetzung von ATP. Deshalb verlässt sich die Muskulatur bei Überschreiten der anaeroben Schwelle vorrangig auf das schnellere anaerobe System.

Anaerobes System

Während das aerobe System in der Lage ist seine Abfallprodukte gleichzeitig zur ATP-Produktion zu recyceln, sammeln sich diese beim sauerstoffunabhängigen, anaeroben System an.

Zusätzlich wird der Blutfluss durch die maximalen Muskelkontraktionen behindert bis abgedrückt, sodass sich der Abtransport weiter verzögert. An diesem Punkt fängt die Pump-Uhr an zu ticken bis die Finger aufgehen und man die Reise nach unten antritt.

Um einem totalen Versagen der Muskulatur entgegenzusteuern, muss die Belastungsintensität wieder unter die anaerobe Schwelle gesenkt werden. Nur dann kann das aerobe System Abfallstoffe beseitigen und der Blutfluss den notwendigen Sauerstoff dazu liefern.

Dies erreicht man beim Routenklettern durch Rasten. Beispielsweise an einem großen Griff, der die Belastungsintensität unter die anaerobe Schwelle senkt oder noch besser durch totale Entlastung .

Alles klar? Sehr gut! Jetzt geht’s an´s Eingemachte.

 

Wie trainiert man Ausdauer für das Klettern?

Um die kletterspezifische Ausdauer zu verbessern, arbeitet man am aeroben und anaeroben System anhand von drei Ansatzpunkten.

Ansatzpunkt 1: Steigerung der Fingerkraft

Die kletterspezifische Ausdauer verbessert sich durch Steigerung der Maximalkraft der Fingerbeuger.

Die anaerobe Schwelle ist von der Fingerkraft abhängig. Je stärker man ist, desto leichter fällt der Muskulatur der nötige Aufwand, um den Kletterer in der Wand zu halten.

Ein kleines Beispiel: Das Hängen an einer 2 cm-Leiste verlangt von jedem 60 kg-Kletterer ungefähr die selbe physikalische Kraft, um daran zu Hängen. Aber ein 11er-Kletterer nutzt dabei viel weniger seines gesamten Potenzials als ein 7er-Kletterer, welcher damit wahrscheinlich am Limit seiner Fähigkeiten kratzt. Eventuell kann ersterer die Belastung sogar mit dem aeroben System bedienen und an der Leiste Hängen bis er einschläft.

Wie trainiert man Fingerkraft? Beispielsweise am Hangboard oder Campusboard.

 

Ansatzpunkt 2: Aerobe Ausdauer steigern durch Kapillarisierung

Die aerobe Ausdauer lässt sich über eine Verschiebung der anaeroben Schwelle (ANS) verbessern.

Kraftausdauer Kletern

Durch Verschieben der ANS kann man höhere Belastungen verkraften, bevor die Muskulatur ermüdet.

Die anaerobe Schwelle ist der Punkt, an dem das aerobe System nicht mehr in der Lage ist die Kletterbelastung zu stemmen und das anaerobe System zusätzlich anspringt. Ab diesem Punkt sammeln sich Abfallstoffe in der Muskulatur und die Zeit tickt bis die Muskeln versagen, sollte die Belastung nicht zurück unter die ANS gehen.

Die Leistungsfähigkeit des aeroben Systems ist unter anderem abhängig von der Menge an Blut (als Transportmedium für Sauerstoff und Nährstoffe), das in die Muskeln gelangen kann. Dieser Zu-Transport und auch der Abtransport von Abfallstoffen geschieht über die Kapillaren (kleine Äderchen) in den Muskeln.

Kapillarisierung

Um die anaerobe Schwelle zu verschieben, kann die Ausbildung neuer Kapillaren durch spezifisches Training angeregt werden. Dadurch kann das aerobe System größere Belastungen bewältigen.

Kapillaren sind Äderchen, die den Muskel mit Sauerstoff versorgen und anfallende Stoffwechselprodukte abtransportieren.

Um das aerobe System zu verbessern, zielt man beim Training auf einen milden Pump ab, den man über einen längeren Zeitraum hält. Dies führt zu Anpassungen im Kapillarennetzwerk durch Neubildung und Ausweitung.

Auf diese Weise verschiebt sich die anaerobe Schwelle, wodurch höhere Belastungsintensitäten ohne Ausbildung eines Pumps verkraftet werden können. Außerdem verbessert sich die Regeneration zwischen schweren Zügen oberhalb der anaeroben Schwelle. Daher trägt ein Training des aeroben Systems auch bedingt zur Verbesserung der Ausdauer oberhalb der anaeroben Schwelle bei.

Regelmäßiges Klettern in individuell anstrengender Schwierigkeit führt zu einer stetigen Verbesserung der Kapillarisierung, jedoch bilden sich Fortschritte hier auch wieder zurück.

Gezielt lässt sich die aerobe Ausdauer beispielsweise mit der auf dem Blog beschriebenen Übung ARCing verbessern.

 

Ansatzpunkt 3: Anaerobe Ausdauer trainieren

Die anaerobe Ausdauer lässt sich über eine Erhöhung der Abfallstofftoleranz verbessern.

Die Muskulatur kann nur bis zu einer bestimmten Menge von aufgestauten Abfallstoffen arbeiten. Die Ansammlung dieser Stoffwechselprodukte wird beim Klettern als zunehmender Pump in den Unterarmen empfunden.

Leider handelt es sich dabei nicht nur um ein unangenehmes Gefühl, sondern um einen leistungslimitierenden Prozess. Mit zunehmendem Pump (Klettern oberhalb der ANS) verschlechtert sich die Kletterleistung an drei Fronten gleichzeitig:

  • Die Fähigkeit zur maximalen Muskelkontraktion nimmt ab bis die Finger sich unwillkürlich öffnen
  • Die Koordination für exaktes Greifen, Treten und Belasten von Haltepunkten verschlechtert sich
  • Die Anstrengung steigt buchstäblich zu Kopf und das Urteilsvermögen leidet, sodass sich die Wahrscheinlichkeit der richtigen Griff-/Trittauswahl verringert.

Glücklicherweise lässt sich die Toleranz gegenüber den Abfallprodukten der Energieerzeugung trainieren. Das Ziel dabei ist es die mögliche Kletterdauer nach Überschreiten der anaeroben Schwelle zu verlängern.

Abfallprodukt-Toleranz erhöhen

Verbesserungen im anaeroben Bereich erreicht man durch maximale Beanspruchung des Systems. Ausdauer-Übungen für dieses System zielen auf die Entwicklung eines massiven Pumps ab. Durch die hohe Belastungsintensität passt sich das anaerobe System mit der Zeit den Belastungen an.

Dies geschieht indem unter anderem die Toleranz für die muskelermüdenden Abfallprodukte der ATP-Produktion gesteigert wird. Dadurch verlängert sich die Zeit, die man oberhalb der ANS klettern kann.

Ein weiterer Vorteil der Übungen für das anaerobe System ist das damit einhergehende mentale Training. Der Wille wird massiv trainiert, wenn man sich zwingt am absoluten Limit noch „die zwei Züge“ mehr zu machen um das Top zu erreichen. Dies wirkt sich positiv auf den „Biss“ in den tatsächlichen Projekten aus.

Folgende Übungen im Blog:

4×4´s

Boulder Link-up´s

 

Tipps für das kletterspezifische Ausdauertraining

Verbesserungen durch Ausdauertraining stellen sich rasch ein, jedoch bilden sich Fortschritte auch innerhalb weniger Wochen zurück, wenn das Potential nicht genutzt wird bzw. weitertrainiert wird.

Im Gegensatz dazu sollte man auch beachten, dass bei einem Schwerpunkt auf das Training des anaeroben Systems bereits nach circa sechs Wochen keine Fortschritte mehr stattfinden. Daher legt man dieses taktisch am besten direkt vor den Kletter-Urlaub oder die Saison und trainiert Kraft weiterhin erhaltend.

Die beiden Ansatzpunkte Kraft und Kapillarisierung können ganzjährig problemlos trainiert werden.

Für das Ausdauertraining beim Klettern gilt allgemein, dass die Ergebnisse besser werden je spezifischer das Training der Zielroute entspricht. Darunter fallen unter anderem die Faktoren Routenlänge, Neigung und Griffart.

Zum Schluss muss noch gesagt werden, dass Klettern nach Lust und Laune, solange es individuell anstrengt, ganz von alleine mit der Zeit zu Verbesserungen der Ausdauer führt. Auch durch Projektieren und Onsighten verbessert sich die Ausdauer entsprechend der Beanspruchung und wächst mit den Anforderungen.

Regelmäßig die besten Inhalte aus der bunten Welt der Kletterns & Boulderns in deinen Posteingang?

Dann abonniere den kostenlosen Newsletter!

Inspiration    Training    Kein Bullshit